Heike Kretschmer: Erinnerung an 90 Jahre Machtübernahme durch das NS-Regime im Jahr 1933

Reden

Wie wichtig öffentliche Erinnerungsarbeit unter Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern ist, hat mir erneut und sehr eindrücklich die Veranstaltung am 9.11.2021 zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht 1938 in der Alten Synagoge gezeigt.

Dazu gehört auch Geschehnisse der damaligen Zeit an den Orten, wo sie geschehen sind, weiterhin sichtbar zu machen. Das geschah unlängst erst  am 7. Juni dieses Jahres als auf dem Gelände des UNESCO-Welterbes Zollverein. An dem Tag wurde die Gedenktafel für die Opfer der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau und auf Zollverein enthüllt. Ein längst überfälliger Schritt so an die vielen Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen, die unter anderem aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich kamen, zu erinnern.

Das wir heute im Rat erneut über die Rolle und die Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit an die Machtübernahme des NS-Regimes vor 90 Jahren sprechen, zeigt wie wichtig dieses Thema uns allen, aus-genommen der AfD ist. Zuletzt auch deshalb, weil Rechtsradikalismus immer wieder und immer stärker ein Thema in Deutschland ist.

Die Verbrechen des NSU, der Mord an Regierungspräsident Walter Lübke, die Anschläge in Halle und Offenbach, das Aufmarschieren der „Steeler Jungs“ oder der Angriff auf die jüdische Kultusgemeinde in unserer Stadt am 23. November letzten Jahres, machen dies deutlich. 

Ausgangspunkt für die heutige Diskussion im Rat, ist unser Antrag aus der Ratssitzung im Mai, der zum Ziel hatte, die Gedenkstätte des ehemaligen Außenlager des KZ Buchenwald „Schwarze Poth“ in der Innenstadt schnellstmöglich in Ordnung zu bringen und die anderen NS-Gedenkstätten in Essen auf ihren Zustand zu überprüfen. Im Ergebnis der Diskussion sicherte der Oberbürgermeister zu, die „Schwarze Poth“ in Ordnung bringen zu lassen und die Zugänglichkeit zu gewährleisten. 

Auf Antrag von CDU und Grünen arbeitet die Verwaltung jetzt an einer Übersicht über alle Gedenkstätten. Auf deren Grundlage werden wir der Frage nachgehen, wie wir den Erhalt und die Pflege der bestehenden Gedenkstätten in der Stadt verbessern können. Hoffentlich ist das der Auftakt dafür, dass es perspektivisch nicht mehr zu der Feststellung kommen muss, dass sich Erinnerungsorte in einem schlechten Zustand befinden, mangels Geld im Haushalt, oder wegen teilweise ungeklärter Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung. 

Schon im Kulturausschuss im Mai ist die Notwendigkeit eines Mehrs an aktiven Erinnerungsarbeit diskutiert wurden. Deshalb halten wir den Antrag von CDU, Grüne, SPD und FDP für folgerichtig und freuen uns, dass unsere Antragstellung im Mai zu diesen Aktivitäten geführt hat. Noch mehr hätten wir es begrüßt, wenn dieser Antrag, wie im Kulturausschuss von der CDU ebenfalls geäußert, mit allen Fraktionen der demokratischen Parteien, die an der Mitwirkung Interesse gezeigt haben, auch heute hier eingebracht worden wäre. Dann hätten wir gar keinen Ergänzungsantrag stellen brauchen.

Am 8. Mai 1985 hat der Bundespräsident Richard Weizsäcker in seiner bedeutenden Rede vor dem Deutschen Bundestag zum 8. Mai 1945 gesagt, warum man in das Erinnern an das Geschehen vom Januar 1933 bis zum Mai 46 auch das Gedenken an die Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubens-begründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten einschließen sollte. Wollen Sie heute dahinter zurückbleiben?

Der lutherische Pfarrer Martin Niemöller, der die letzten sieben Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Konzentrationslagern verbracht hat, ist auch Ihnen sicherlich durch seine Worte bekannt:

 

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler.

Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

 

Die Stolpersteine erinnern jeden Tag auf´s neue diejenigen, die sie sehen und bewusst wahrnehmen, an die Auslöschung des jüdischen Lebens in unserer Stadt und an den frühen Terror gegenüber Gewerkschaftern, Mitgliedern der SPD und KPD. Terror, der auch Politiker, wie Heinrich Imbusch, christlicher Gewerkschaftsführer und ehemaligen Reichstagsabgeordneter 1933 traf. 

Der nicht Halt machte vor dem SPD-Mitglied Peter Birggraf, der am 17.07.1933 an den Folgen der Misshandlung von "Werksoldaten" in der  Adolf-Hitler-Kaserne in Werden gestorben ist oder vor Josef Bauernfeind Mitglied der KPD.

Drei Einzelschicksale, die auf Grundlage von Notverordnungen und scheindemokratischen Beschlüssen eines entmachteten Reichstages – wie etwa dem "Ermächtigungsgesetz" – ihr Leben verloren. Wenig später erließen die Nazis auch die ersten Gesetze zur Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. 

Insofern sollten auch jene Initiativen und Verbände der Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften im Punkt eins des Antrags aufgenommen werden, um zu zeigen, dass sie für uns auf Grund ihre Arbeit wichtige Partner sind. 

Das trifft im gleichen Maße auf die Bezirksvertretungen zu, die schon lange aktive Erinnerungsarbeit leisten, wie z.B. im Bezirk III mit einer eigenen Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an das Zwangs-arbeiterlager in Altendorf. 

Gerade zu den Punkten eins und drei ihres Antrages ist es wichtig, die Forschungsarbeit zu intensivieren. Forschungsarbeit, die die Möglichkeit bietet, in Zusammenarbeit mit der UNI Duisburg-Essen Lücken in Feldern zu schließen, die auch in Deutschland noch immer unterrepräsentiert sind.

Wie Sie wissen, warten zu zwei dieser Themen die Akten im Stadtarchiv auf ihre Erfassung und wissenschaftliche Aufarbeitung unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte:

  • die Gesundheitsakten aus der Zeit des Nationalsozialismus und
  • die Akten der Bearbeitung von Wiedergutmachungsansprüchen verschiedener Opfergruppen nach 45.

Unverständlicherweise sind unsere sinnvollen Ergänzungen im Haupt- und Finanzausschuss sowie im Bildungsausschuss von ihnen abgelehnt worden. Allerdings haben CDU & Grüne ja nun mit Ihrem Haushaltsantrag die Notwendigkeit für eine intensivere Forschungs-arbeit bestätigt, indem Sie diesen Punkt aus unserem Antrag aufgenommen haben.

Wir möchten ihnen vorschlagen, dass wir aus beiden Anträgen einen gemeinsamen Antrag machen und der Erinnerung somit angemessen begegnen.