Energiearmut

Die Preise für Strom und Gas steigen dramatisch. Für viele Menschen wird es mit der nächsten Heizkostenabrechnung ein böses Erwachen geben, denn allein der Preis für Gas stieg um fast 120 Prozent. Fast 90 Prozent der deutschen Industrieunternehmen sehen in den erheblich gestiegenen Energiekosten eine starke oder sogar existenzbedrohende Herausforderung für die Zukunft. Wie soll es da erst beim ärmeren Teil der Gesellschaft aussehen? Zumal Lebenshaltungskosten im Allgemeinen steigen, für dieses Jahr wird eine Inflationsrate von mindestens vier Prozent erwartet, auch bedingt durch die hohen Energiepreise. Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Experten erwarten eine weitere Verdoppelung der Preise für Strom und Gas und in dieser Prognose ist noch keine weitere Eskalation des Ukraine-Konflikts mit eingepreist, die auch für weitere dramatische Verteuerungen sorgen wird. So oder so wird es sehr eng, nicht nur für arme Menschen, sondern bis hinein in mittlere Einkommen.

 

Zwar hat die Bundesregierung Gegenmaßnahmen angekündigt, wie z.B. einen Heizkostenzuschuss für Wohngeld-Haushalte und Bafög-Empfänger*innen. Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, hat jetzt ein ganzes Maßnahmenpaket noch für diese Woche angekündigt. Zur Debatte steht z.B. die vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage und Hilfen für die Empfänger von Grundsicherung. Andere Maßnahmen, wie die umstrittene Erhöhung der Pendlerpauschale, sollte sie kommen, werden vor allem Besserverdienenden helfen. Kann Essen beim Status Quo verharren, weil ja jetzt alles scheinbar „von oben“ geklärt wird? 

Wir sagen nein. Denn die Bundes-Maßnahmen werden nicht ausreichen. Das ist sicher. Weitere Maßnahmen sind notwendig, ein Mix aus Bundes-Landes- und kommunaler Hilfe. Auch mit kleinen kommunalen Maßnahmen, wie z.B. das Aussetzung der Stromsperren, der Schaffung eines kommunalen Hilfefonds und einer Ombudsstelle können wir in Essen Energiearmut bekämpfen und die Not lindern.

Energiearmut ist in aller Regel durch vielfältige strukturelle Ursachen bedingt. Dazu zählen Wohnraum der nicht energieffizient ist und veraltete oder defekte, jedenfalls stromfressende Haushaltsgeräte – während gleichzeitig die finanziellen Ressourcen fehlen, um Investitionen in  zu tätigen. Denn geringe Einkommen stehen stetig steigenden Lebenshaltungskosten gegenüber. Wie so oft in Armutsfragen gilt deshalb auch hier: Es muss an vielen Rädchen gedreht werden, soll es zur Verbesserung der Situation kommen. 

In Essen gibt es bereits seit 13 Jahren den mit Bundesmitteln geförderten EnergieSparService, der eine wertvolle Hilfestellung leistet und vor der Pandemie 1.100 – 1.200 Beratungen pro Jahr durchgeführt hat, mit durchschnittlichen Einsparungen von 120 – 150 Euro pro Jahr und Haushalt. Aktuell sind es Pandemie bedingt weniger Beratungen. Wir haben mit Verantwortlichen des EnergieSparService gesprochen. Sie halten einen Ausbau von Hilfsangeboten und die Vernetzung mit bestehenden Angeboten für sehr wichtig. Denn auch selbst wenn das Vor-Corona-Niveau an Beratungen wieder erreicht wird, ist das nicht mehr ausreichend. Außerdem würden sie es gut finden, wenn es nicht nur einen Hinweis auf ihr Angebot  auf der Rückseite der BuT-Bescheide geben würde, sondern die Fallmanager beim JobCenter die mehrsprachigen Flyer des Energie SparService direkt und proaktiv an ihre Klient*inenn weitergeben würden. Dieser Gedanke ist Teil unseres Antrages, wenn wir mehr Information und Aufklärung der Bevölkerung fordern und einen Ausbau und Vernetzung der Hilfeleistungen. Schöner Nebeneffekt:  Es hilft nicht nur den Geldbeuteln der Betroffenen sondern auch der Umwelt.

Andere Städte gehen noch weiter.  Österreich hatte 2014 seine Energieunternehmen aufgefordert Ombudsstellen gegen Energiearmut zu schaffen. Die Wiener Stadtwerke haben bereits 2011 eine solche Ombudsstelle und Kriterien für soziale Härtefälle festgelegt. Mindestens drei Kriterien müssen vorliegen, um als Härtefall eingestuft zu werden. Dazu zählen Einkommen, Krankheit, Wohnsituation, Familiensituation, Verschuldung oder Lebenskrisen. Wien Energie berichtete bereits nach zwei Jahren Arbeit, dass sie ca. 2.000 Haushalte betreuen. In einem Rückblick berichten die Wiener Stadtwerke, dass eine punktuelle Intervention in der Regel nicht ausreicht. Vielmehr sei eine über einen gewissen Zeitraum, meist mehrere Wochen bis zu einem halben Jahr, dauernde Fallbegleitung erforderlich. Wesentlich ist, dass die Ombudsstelle gemeinsam mit allen beteiligten sozialen Einrichtungen eine auf den Individualfall abgestimmte Lösung erarbeitet. In Köln ist die Einrichtung einer solchen Ombudsstelle auch in der Mache.

Wir brauchen auch in Essen eine solche Stelle und dabei sehen wir auch die Grundversorger in der Pflicht. Es ist schon klar, dass es einen Unterschied gibt, ob der Grundversorger in kommunaler Hand oder ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen ist. In Essen ist der Grundversorger für Gas immerhin mehrheitlich in kommunaler Hand, der für Strom ist privat. Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen haben aber beide eine soziale Verantwortung für ihre Kunden. Dazu gehört es besonders, dass Strom- und Gassperren ausgesetzt werden. Meistens sind es ja Stromsperren, weil die Gasrechnung über die Vermieter laufen. Menschen im Dunkeln bzw. im Kalten sitzen zu lassen ist in der heutigen, technisierten Gesellschaft unwürdig, unzumutbar und ein gesellschaftspolitischer Skandal. Um das zu verhindern soll ein Runder Tisch gegen Energiearmut zur Verhinderung dieser Sperren eingerichtet werden, an dem die Grundversorger z.B. mit der Essener Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie der Verbraucherzentrale Essen an Lösungen arbeiten kann. Auch dieses Format gibt es in vielen anderen Städten bereits.

Was es auch woanders gibt, sind Härtefallfonds wie er z.B. in Hannover seit über zehn Jahren erfolgreich betrieben wird. Mit für ein Energieunternehmen läppischen Betrag von 150.000 Euro wird jedes Jahr rund 1.000 Menschen aus der Klemme geholfen. Auch das ist ein Rädchen zur Verbesserung und würde auch in Essen vielen Menschen helfen. Helfen würde es auch, wenn bei Beziehern von Grundsicherung die Nichtprüfungsgrenze der Heizkosten proportional zu den steigenden Preisen angehoben wird. Das ist entgegen anderer Behauptungen auf kommunaler Ebene sehr wohl möglich und wird derzeit auch in anderen Städten gemacht.

Wir schlagen mit unserem Antrag für ein Konzept gegen Energiearmut verschiedene Stellschrauben vor, mit denen betroffenen Menschen  geholfen werden kann. Das meiste sind Prüfaufträge an die Verwaltung. Ein Wort noch zu den  SPD-Antrag: Die SPD hat jetzt das gemacht, was sie an den Fraktionen von CDU und Grüne immer zurecht kritisiert. Statt Änderungen vorzuschlagen und einen gemeinsamen Antrag daraus zu machen, hat sie aus unserem Antrag abgeschrieben und mit einigen Ergänzungen einen eigenen daraus gemacht.

Auch das Vorgehen von CDU und Grüne ist indiskutabel. Erst ignorieren sie das Problem, obwohl dieses offensichtlich ist und unser Antrag bereits seit einem Monat durch die Gremien gegangen ist und dann ziehen sie kurz vor der Ratssitzung einen Antrag aus dem Hut, weil sie unter Zugzwang geraten sind. Wer in Ausschüssen die Vorschläge anderer zerredet ohne eigene Ideen einzubringen und dann ohne Fachberatung eine Entscheidung herbeiführen will, mit Verlaub, das ist ein schlechter Stil. Trotzdem freuen wir uns darüber, dass wir mit unserem Antrag mal wieder eine Debatte angestoßen haben und etwas erreichen konnten, auch wenn es aus unserer Sicht viele wichtige Punkte in beiden Anträgen fehlen.

Bitte stimmen Sie unsem Antrag zu.