Unterbringung von Flüchtlingen

Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir werden heute über die Flüchtlingsunterbringung in Essen beschließen. Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren zu einer so intensiven öffentlichen Debatte geführt. Szenen wie jetzt zuletzt in Sachsen, wo es zu massiven Bedrohungen von Frauen und Kindern in Clausnitz gekommen ist oder in Bautzen, wo Menschen klatschten und die Feuerwehr behinderten, als ein Hotel abbrannte, dass für Flüchtlinge umgebaut wurde, sind uns in Essen erspart geblieben. Über die Fraktionsgrenzen hinweg sind wir uns in diesem Punkt einig.

Aber wir leben nicht auf der Insel der Glückseligen, auch in Essen wird gezündelt. Ich bin ja heilfroh, dass aus dem „Der Norden ist voll“ jetzt wenigstens „Dem Norden eine Zukunft“ geworden ist. Klar, alle Stadtteile sollen eine Zukunft haben und zwar mit und für alle Menschen die dort wohnen. Ein Anteil von 40 Prozent von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ist nicht per se eine besondere „Belastung“, wie es im Aufruf zur Gründung einer Bürgerinitiative heißt, gezeichnet von einem prominenten SPD-Nordlicht, sondern eine besondere Chance für lebendige Stadtteile. Soziale Problemlagen gab es gerade im Essener Norden lange vor den aktuellen Flüchtlingszuzügen. Der Anteil armer Menschen steigt in NRW und im Ruhrgebiet entgegen dem Bundestrend und zwar nicht wegen der Flüchtlingszuzüge, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband erst jetzt wieder im Armutsbericht herausstellt. Essen und das Ruhrgebiet wollen Metropole sein, zu Metropolen gehört nun mal die Zuwanderung dazu. Das ruhrgebeit war schon immer ein Schmelztiegel und wird das auch bleiben.

Wer aber hohe Anteile von Menschen mit ausländischen Wurzeln als „Problem“ bezeichnet, verkennt die riesigen Integrationsleistungen, die Generationen von Migranten in dieser Stadt bereits vollbracht haben und die genauso Essener Bürgerinnen und Bürger sind wie andere auch und die enormen Leistungen dieser Menschen für die Stadt und die Gesellschaft. Es ist auch ein Affront gegen die enorme Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen. Dies immer wieder herauszustellen, entzieht rechten Hetzern und rassistischen Rattenfängern die Grundlage und nicht ein Aufbauschen von „Problemen“, die es unzweifelhaft auch gibt, die aber nicht mit Parolen gelöst werden können. Wir brauchen eine Offensive für Quartiersmanagement und soziale Stadtentwicklung, für Kindertagesstätten- und Schulplätze, vor allem im Norden, aber nicht nur.

Völlig zu Recht haben sich viele Menschen gegen die Bebauung von Grün- und Freiflächen zur Wehr gesetzt, die von der Verwaltung völlig unnötig erneut in die Diskussion gebracht wurden. Leider versuchen auch hier einige Leute die Verteidigung von Freiflächen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen überhaupt zu wenden. Nein, Essen kann Flüchtlinge aufnehmen. Eine sogenannte „Überlastungsanzeige“ ist populistischer Unsinn und rechtlich gar nicht umsetzbar. Mit Ihrer Erlaubnis Herr Oberbürgermeister, möchte ich aus dem Kommentar von Wolfgang Kintscher, NRZ, zitieren: ….. Dem kann ich nur zustimmen.

Ich komme jetzt zur Resolution von SPD, CDU und FDP. Diese Resolution enthält ein paar richtige Feststellungen und Forderungen. Leider atmet sie insgesamt aber den Geist der Abschreckung von Flüchtlingen und nicht der Willkommenskultur. Natürlich sollten Fluchtursachen bekämpft werden, aber nicht, weil ein „andauernder Zuzug“ unsere Stadt überfordert, sondern um den Menschen das Leid zu ersparen, ihre Heimat zu verlassen und sich auf einen gefährlichen und ungewissen Weg machen zu müssen.

Selbstverständlich sollte der Königsteiner Schlüssel überdacht werden. Aber gleichzeitig eine Residenzpflicht für anerkannte Flüchtlinge zu fordern, geht völlig an der Lebenswirklichkeit dieser Menschen vor und beraubt sie ihrer Selbstbestimmung und ihrer Chancen auf schnelle Integration. Es gibt einen Zug in die großen Städte, weil sich hier die Chancen auftun. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen, statt eine Residenzpflicht zu fordern. Dass in Essen bisher ein Konzept für die Zuwanderung fehlt, kennzeichnet uns als provinzlerisch. Das Verschleppen des Baues von vernünftigen Unterbringungen und der Bereitstellung von entsprechenden Flächen hat uns hier ins Hintertreffen gebracht. Andere sind deutlich weiter.

Um hier vorwärts zu kommen, schlagen wir in unserem Antrag zwei Punkte vor:

1.   Das schon im Dezember fraktionsübergreifend beschlossene Gesamtkonzept muss schnellst möglich endlich vorgelegt werden.

2.   Die Verwaltung soll alle Förderprogramme auflisten, die einen Bezug zur Integration von Flüchtlingen in die Stadtgesellschaft haben. Da gibt es inzwischen einiges bis hin zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Und Fördergelder sollten einer armen Stadt wie Essen nicht „durch die Lappen gehen“.

 Zurück zum Resolutionsentwurf: Auch andere Forderungen atmen den Geist der Abschreckung, wie die Verlegung von Asylbewerbern aus sogenannten sicheren Herkunftsländern in Landeseinrichtungen oder die Forderung, Asylbewerber ohne Bleibeperspektive nicht mehr den Kommunen zuzuweisen. Auch hier die Frage: Wer entscheidet dies eigentlich? Jeder hat ein Recht auf eine Einzelfallprüfung und auf den Rechtsweg. Dies gilt auch für straffällig gewordene Asylbewerber bis zum Abschluss des Verfahrens – sie in Abschiebehaft zu nehmen widerspricht internationalem Recht.

Dankenswerter Weise hält die Resolution immerhin fest, dass der Stadtverwaltung noch über 500 Beschäftigte fehlen zur Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben. Mit dem Nachtragshaushalt sind aber nur 250 zusätzliche Stellen u.a. von SPD und CDU beschlossen worden. Dies ist ein Widerspruch. Fehlendes Personal heißt, wichtige Aufgaben können nicht oder nur unzureichend erledigt werden. So wird auch sozialer Konfliktstoff aufgebaut. Wir werden die Resolution ablehnen.

Völlig daneben ist für uns Linke die Idee, den Verkehrsübungsplatz Frillendorf mit einem Containerdorf für 1.500 Menschen zu bebauen. Weil Sie wissen, Herr Kromberg, dass Sie dies im Rat nicht durchbekommen, wollen Sie ordnungsrechtlich vorgehen. Und entgegen den Pressemeldungen, die Fraktionen seien informiert worden, haben wir keine offizielle Information im Vorfeld erhalten. Den Interfraktionellen Arbeitskreis, der dafür da ist,  haben Sie ungenutzt gelassen. Etwas Kindergarten ist allerdings, wenn die Parteipiraten jetzt nicht mehr teilnehmen wollen. Fürs Schmollen ist die Lage dann doch etwas zu ernst.

Zum Schluss noch einige Worte zu den konkreten Anträgen zur Flüchtlingsunterbringung: und unserem Stimmverhalten:

1.   Mit dem Antrag der Groko können wir nicht mitgehen, denn Standorte mit 400 Plätzen halten wir nach wie vor für zu groß. Sie führen zu Konflikten unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, wie einige Beispiele in letzter Zeit zeigen, sie erschweren die Integration in die jeweiligen Stadtteile.

2.   Wie unser Antrag zeigt, geht es auch anders. Es ist möglich, kleinteiliger und übers Stadtgebiet verteilt Flächen zu finden. Wir schlagen Flächen für den Bau von Übergangswohnheimen mit insgesamt 5140 Plätzen vor, die sofort zur Verfügung stehen. Mittelfristig sind noch weitere Flächen verfügbar. Und hier ist sicherlich auch noch Luft nach oben, wenn die für eine Wohnbebauung schon vorgesehenen Flächen nicht wie heilige Kühe behandelt würden. Den grünen Antrag, der z.T. andere Vorschläge macht, werden wir unterstützen.

3.   Wir halten die Fläche an der Heißener Straße für eine gute Alternative für die Fläche im Hexbachtal. Mit etwas gutem Willen, ließen sich die Hindernisse für die Heißener Straße sicherlich schnell ausräumen. Zudem wollen Anwohner gegen die Bebauung der  ehemaligen Ziegeleifläche klagen, das brauchen wir nun wirklich nicht.

4.   Die Wallneyer Straße halten wir nach wie vor für ungeeignet, u.a. weil sie weit abliegt. Dazu kommt die Nähe zum Kloster Schuir, in dem 550 Menschen untergebracht werden sollen und zur möglichen Fläche in Haarzopf Spielkampsweg, wo die Groko ebenfalls 400 Menschen unterbringen will. Die eben genannten Standorte liegen in unmittelbarer Nähe zu Haarzopf. Allein die Schulsituation in Haarzopf könnte so aus dem Ruder laufen.

5.   Die Fläche des Hundsportvereins an der Nöggerathstraße sollte unangetastet bleiben und stattdessen eine Teilfläche des alten Oase-Geländes genommen werden. Dem Hundesportverein kann die Verwaltung keine Alternativfläche anbieten, da nutzt dann auch der Rückbau zu Lasten der Stadt dem Verein wenig.

Unser Antrag geht über einen reinen Flächenbeschluss hinaus, zwei Punkte habe ich gerade schon angesprochen. Wichtig ist uns auch noch:

1.   Dort,  wo in unmittelbarer Nähe zu den jetzigen Zeltdörfern gebaut werden soll, müssen die Zeltdörfer aufgelöst werden. Dies ist durch Beschluss des Rates sicherzustellen.

2.   Die Übergangswohnheime sind mit wohnungsähnlichen Grundrissen auszustatten und sollen auch durch ihre äußere Gestaltung Wohnbauten angepasst sein, um eine Stigmatisierung und letztendlich Ghettoisierung zu verhindern und ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dadurch wird ebenfalls die schnelle Integration unterstützt.

3.   Und last but not least: Die Vermittlung in Wohnungen muss einen deutlichen Schub bekommen. Immer noch nicht sind die 15 Stellen bei der Wohnungsvermittlung der Sozialverwaltung besetzt und dass muss endlich prioritär erfolgen. Es gibt noch nicht mit allen Wohnungsgesellschaften Rahmenverträge, um die aufwändige Einzelprüfung zu beenden. Und: Warum bedient sich die Stadt nicht der Expertise von Mietervereinen bei der Wohnungsprüfung, um die Anmietung zu beschleunigen. Außerdem sollte mit externen Partnern ein effektives Leerstandsmanagement aufgebaut werden. Geld ließe sich mit jedem einzelnen Vorschlag einsparen.

Dem Punkt 8 der Verwaltungsvorlage werden wir nicht zustimmen. Bisher ist die Ausführung von Vorhaben der Flüchtlingsunterbringung nicht an der Ausschussarbeit gescheitert. Ich erinnere nur daran, dass die Beschlüsse aus dem Frühjahr 2015 noch nicht umgesetzt sind, weil die Verwaltung zu wenig Personal hat. Wir sind angetreten, die Flüchtlingsunterbringung wieder durch politische Beschlüsse zu gestalten und diesen Anspruch nehmen wir ernst.

Gabriele Giesecke