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Urban Mining

Ausschuss für Umwelt, Klima- und Verbraucherschutz
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In Essen herrscht seit Jahren ein regelrechter Bauboom. Doch Baumaterialien wie Sand und Metalle sind eine immer knapper werdende Ressource. Ziegel, Beton, Holz, Glas - in unserer Stadt sind tonnenweise Rohstoffe verbaut. In der Stadt Wien z.B. verstecken sich auf eine:n Einwohner:in ca. 4.500 kg Eisen, 340 kg Aluminium, 200 kg Kupfer, 40 kg Zink und 210 kg Blei und in einer 100-Quadratmeter-Wohnung stecken heute rund 7.500 Kilogramm Metalle. Auch die Rückgewinnung Seltener Erden wie z.B. Lithium und Tantal würde die Abhängigkeit von Importen aus Ländern wie Chile und der DR Kongo minimieren. Diese Rohstoffe gilt es wiederzuverwerten. Daher kommt Urban Mining in den kommenden Jahren eine erheblich Bedeutung zu und dient dazu die anfallenden, dynamischen Materialmengen hochwertig und schadlos bewirtschaften zu können. Es ist die integrale Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers mit dem Ziel, aus langlebigen Gütern sowie Ablagerungen Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Güter noch aktiv genutzt und erst in absehbarer Zukunft freigesetzt werden. 

Dies wäre auch eine Chance die EBE als Vorreiter in der Region zum Thema Urban Mining aufzustellen und neue, grüne Arbeitsplätze zu schaffen. Dem 1. Fortschrittsbericht der grünen Hauptstadt ist zu entnehmen, dass der Trend beim Urban Mining „konstant“ sein soll. Leider lassen sich dem Bericht keine weiteren Details zum Thema entnehmen. Vor diesem Hintergrund stellt die Ratsfraktion DIE LINKE folgende Fragen:     

1. Welche Rohstoffe, in welcher Menge und auf welche Weise werden aktuell in Essen zurückgewonnen?

Diese allgemein formulierte Frage lässt sich vollumfänglich wohl nicht beantworten, da es im Bereich der privatwirtschaftlich organisierten Verwertung der Rohstoffe keine entsprechende Datengrundlage gibt. Die Untere Abfallwirtschaftsbehörde UAWB erlangt zwar Kenntnis über Art, Menge und Verbleib der anfallenden Abfälle bei entsprechenden Betriebskontrollen, diese Informationen beziehen sich aber immer nur auf den einzelnen kontrollierten Betrieb. Bei den Kontrollen steht die „ordnungsgemäße und schadlose Verwertung der Abfälle“ gemäß § 7 KrWG im Vordergrund, nicht die Erhebung von Daten.

Allerdings ist der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger (FB 02-01) nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz verpflichtet, Siedlungsabfallbilanzen über Art, Menge und Verbleib der entsorgten Abfälle einschließlich deren Verwertung oder anderweitigen Behandlung zu verfassen. Dies betrifft zwar in erster Linie Abfälle aus Privathaushalten, allerdings auch solche aus anderen Her- kunfts-bereichen, für die die (befristete) Entsorgungspflicht von der BR Düsseldorf auf die Entsorgungsbetriebe Essen GmbH (EBE) übertragen wurde, wie z.B. Gewerbebetriebe, Kranken- häuser, Pflegeheime oder Kindergärten. In der Abfallbilanz werden auch einige Infrastruktur-, Bau- und Gewerbeabfälle erfasst.

Der auf der Homepage der EBE veröffentlichten Abfallbilanz 2020 lassen sich folgende Informationen entnehmen:
„Von 17.440,79 t Bauschutt wurden 14.643,73 t Aufbereitungsanlagen zugeführt, 570,14 t zur Bodenbehandlung benutzt, lediglich 2.226,92 deponiert. 2.107,56 t der gesamten Baustellenabfälle in Höhe von 5.929,26 t werden thermisch, 3.340,49 t in Aufbereitungsanlagen verwertet und die geringe Menge von 481,21 t gelagert und umgeschlagen. Von 10.982,49 t Straßenaufbruch wurden 9.309,31 t in Produktionsanlagen und 668,71 t in Aufbereitungsanlagen verwertet. Hinzu kommen 532,80 t die der thermischen Verwertung zugeführt wurden, lediglich 471,67 t wurden deponiert. Von 5.752,74 t Boden und Steine wurden 5.490,38 t ebenfalls in Aufbereitungsanlagen verwertet und 262,36 t zur Bodenbehandlung genutzt.“

Seit 1995 besteht ein Verbund der deutschen Baustoffindustrie, der Bauwirtschaft und der Entsorgungswirtschaft, der sich für die Förderung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen einsetzt. Im Zweijahresturnus veröffentlicht der Branchenverbund die aktuellen Daten zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle. Damit dokumentiert die Initiative ihr Engagement zum Schutz natürlicher Ressourcen und zur Steigerung der Ressourceneffizienz. Die Verwertung der in Deutschland anfallenden mineralischen Bauabfälle erfolgt auf einem weltweit einmalig hohen Niveau. Im Jahr 2018 wurden 89,7 % der angefallenen mineralischen Bauabfälle einer umweltverträglichen Verwertung zugeführt.

Die jährlichen Monitoring-Berichte der Kreislaufwirtschaft Bau e.V. stehen auf der Internetseite kreislaufwirtschaft-bau.de zum Download zur Verfügung.

2. Ist das Aufsuchen, die Erkundung, das Erstellen eines Ressourcenkataster und die Erschließung und/oder die Bewirtschaftung des anthropogenen Lagers durch die Stadt angedacht, wenn nein, warum nicht? Welche rechtlichen Voraussetzungen gibt es dafür bzw. welche Änderungen beim Kreislaufwirtschaftsgesetz oder der Baustoffverordnung wären notwendig?

Die Partei „Die Linke“ bezieht sich eingangs in ihrem Antrag auf die Erhebung bestimmter Daten seitens der Stadt Wien bezogen auf das städtische Rohstoffpotential. Insofern dürfte sich die Frage 2 darauf beziehen, inwieweit solche Erhebungen auch in Essen durchgeführt werden könnten.

Seit 2012 arbeiten die Forscher des Christian-Doppler-Labors (CD-Labor) für anthropogene Ressourcen der TU Wien, das unter anderem vom Wirtschaftsministerium finanziert wird, an einem Ressourcenkataster für Wien. Dabei haben sie sich eine Stichprobe von knapp 100 Gebäuden vorgenommen, Abbruchhäuser wie Neubauten inspiziert, Pläne ausgewertet und charakterisiert, welche Materialien etwa in Leitungen, Heizkörpern, Böden und Gemäuern verwendet wurden. Beim CD-Labor handelt es sich um eine Forschungsinitiative, deren Ziel darin besteht, anthropogene Ressourcen aufzuspüren und die Rohstoffe im Sinne einer Kreislaufwirtschaft wiederzuverwerten.

In diesem Zusammenhang war das CD-Labor auch an einem Forschungsprojekt zum Thema „Hochbauten als Wertstoffquelle“ beteiligt. Derzeit verfügt die Stadt Essen noch nicht über ein Ressourcenkataster. Zum Thema „Ressourcenkataster“ können jedoch, aufgrund eigener Recherchen, folgende Informationen beigetragen werden:

Ressourcenkataster:
Ein „Ressourcenkataster“ setzt voraus, dass je nach Größe, Bauperiode und Nutzung von Gebäuden unterschiedliche Materialzusammensetzungen und -mengen zugeordnet werden können. Ein solches Kataster könnte, kombiniert mit Informationen über die Abbruchaktivität, Auskünfte über die Menge und Qualität von Baurestmassen geben. Falls es gelänge, die spezifische Materialzusammensetzung jeweiliger Gebäudetypen zu erkunden, könnten Aussagen über das Gesamtmateriallager an städtischen Gebäuden und gleichzeitig über zukünftig durch Abbrüche anfallende Abfälle getroffen werden. Aufgrund des immensen Aufwands (personell, finanziell, zeitlich), der betrieben werden müsste, um bereits bestehende Gebäude in einem Ressourcenkataster zu erfassen, dürfte es sich bei einem neu zu erstellendem Kataster vermutlich eher um eine Erfassung beim Bau neuer Gebäude handeln.

Sollte die Erstellung eines Ressourcenkatasters für die Zukunft geplant sein, könnte es sich als sinnvoll in diesem Zusammenhang erweisen, bei der Errichtung öffentlicher Gebäude einen entsprechenden „Gebäudepass“ zu erstellen, in dem alle verwendeten Baumaterialien aufgeschlüsselt werden, so dass sie im Falle eines späteren Gebäudeabbruchs wieder leichter abgebaut und wiederverwendet werden können. Ein solcher Material-Pass wurde z.B. bereits an der Universität München entwickelt.

Hierbei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass es nicht ausreicht, nur die Menge, Spezifizierung und Verortung von sekundären Ressourcen zu dokumentieren, sondern dass insbesondere entsprechende Technologien zur wirtschaftlichen Trennung der vorhandenen Sekundärressourcen in Wertstoffe und Schadstoffe entwickelt werden müssen. So ist das wirkliche Problem der Baurestmassen kein quantitatives, sondern hinsichtlich der Schadstoffe vor allem ein qualitatives. Es ist notwendig, die Schadstoffe in mineralischen Baurestmassen zu quantifizieren, um zu verhindern, dass sie sich durch mehrfachen Recyclingeinsatz in Gebäuden aufkonzentrieren. Im bestehenden Gebäudebestand ist die Schadstoffbelastung insbesondere bei der tragenden Gebäudestruktur, die über 80 Prozent der gesamten Gebäudemasse ausmacht, schwer zu prognostizieren. Falls diese Belastungen – im konkreten Fall eines Gebäuderückbaus – nicht über den vorhandenen Wissenstand „standardisiert“ lokalisiert und quantifiziert werden können, werden zusätzliche Begehungen, selektive Beprobungen und meist manueller Ausbau der problematischen Materialien nötig, die nicht nur Zeit, sondern auch Geld kosten und daher die Marktfähigkeit der Recyclingstoffe in Frage stellen.

Der Gesetzgeber hat jedoch gerade in jüngster Vergangenheit in diesem Zusammenhang neue Regelungen (Gesetze und Verordnungen) verabschiedet, die den Einsatz von Sekundärrohstoffen bei Neubauprojekten fördern dürften, so z.B. die am 01. August 2023 in Kraft tretende Ersatzbaustoff-verordnung (EBV), sowie das geplante neue Landes-Kreislaufwirtschaftsgesetz für NRW, dass im Frühjahr 2022 in Kraft treten soll.

Letzteres verpflichtet die öffentliche Hand zukünftig dazu, bei der Vergabe öffentlicher Bauleistungen geeignete und qualitätsgesicherte Recyclingbaustoffe gleichrangig einzusetzen (Bevorzugungspflicht statt bisheriger Prüfpflicht). Bei größeren Vorhaben (mehr als 500 cbm anfallende Bauabfälle) muss ein Entsorgungskonzept für die anfallenden Bau- und Abbruchabfälle erstellt werden.

Außerdem sieht das neue Gesetz Vorgaben für die Errichtung und den Abbruch baulicher Anlagen vor, um so die Verwertung der anfallenden Abfälle zu ermöglichen. Bezogen auf die im Antrag aufgeworfene Frage nach notwendigen Gesetzesänderungen ist festzustellen, dass entsprechende Vorgaben zur Förderung der Qualität der aus Gebäuden gewonnenen Recyclingbaustoffe und deren Einsatz als Sekundärrohstoffe in o.g. Gesetzen bereits berücksichtigt wurden. Lediglich die Tatsache, dass ein Verstoß gegen die obligatorische Erstellung eines Entsorgungs-konzeptes bei größeren Bauvorhaben (s.o.) keinen Eingang in die Bußgeldvorschriften des Landes-KrWG fand, dürfte den Vollzug an dieser Stelle erschweren.

3. Plant die Stadt Essen auf absehbare Zeit zusammen mit Forschungsinstitutionen ein Netzwerk zu bilden, um die erweiterten Möglichkeiten des Urban Mining zu erproben?
Wenn nein, warum nicht?

Allgemein lässt sich sagen, dass zunächst einmal seitens der Stadt Essen eine Entscheidung darüber getroffen werden müsste, ob generell beabsichtigt ist, das Thema Urban Mining zukünftig verstärkt in den Fokus zu rücken. Eine solche strategische (Neu-)Ausrichtung ist langfristig zu sehen, denn Urban Mining zielt nach Ansicht des UBA „auf ein Stoffstrommanagement ab,
das vom Aufsuchen (Prospektion), der Erkundung (Exploration), der Erschließung und der Ausbeutung anthropogener Lagerstätten bis zur Aufbereitung der gewonnenen Sekundärrohstoffe reicht“. Ein solcher Ansatz könnte aufgrund des zu erwartenden finanziellen, personellen und zeitlichen Aufwands vermutlich nur im Rahmen von Förderprojekten und mithilfe von entsprechenden Kooperationen mit Forschungsinitiativen, ähnlich wie in Wien praktiziert, realisiert werden.