Aktuelle Stunde

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch wir als Fraktion Die LINKE möchten hier deutlich zum Ausdruck bringen, dass solche martialischen Zusammenrottungen von Männerhorden, um andere einzuschüchtern oder sie anzugreifen, in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen. Und wenn sie passieren, dann müssen die Beteiligten mit allen Mitteln des Rechtsstaates dafür zur Verantwortung gezogen werden.

In diesem Zusammenhang gilt unser Dank der Polizei, die offensichtlich schnell vor Ort war und die Situation bereinigen konnten. Und wir hoffen natürlich, dass die verletzten Polizistinnen bald wieder wohlauf sind.

Selbstverständlich hoffen wir, wie viele Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, aber ebenso wie die übergroße Mehrheit der bei uns lebenden Syrerinnen und Libanesinnen, dass die in den darauffolgenden Tagen erfolgte verstärkte Präsenz der Ordnungskräfte zur Beruhigung der Lage beiträgt.

Solche Vorfälle wie zuletzt in Castrop-Rauxel und in Essen sind durch nichts zu rechtfertigen, weder durch einen Streit unter Kindern noch durch die Auseinandersetzung im Libanon und in Syrien.

Der Rechtsstaat muss respektiert werden, ebenso die Ordnungskräfte und das staatliche Gewaltmonopol. 

Es ist unvermeidlich, dass durch Zuwanderung Menschen mit verschiedenen Wertvorstellungen hier leben. Für alle gilt der Rahmen, den die Gesetze vorgeben und die Regeln für das friedliche Zusammenleben.

Das gilt für die in diesem Land Zugezogenen bzw. Geflüchteten, aber ebenso für die Anticorona - oder Querdenkendemonstrationen, auf denen sich ja auch die AfD tummelt und für die Reichsbürgerszene, die bereits einige Opfer unter Sicherheitskräften und staatlichen Angestellten gekostet haben.

Wie schwer allerdings die juristische Aufarbeitung solcher Vorfälle ist, dass zeigt die Bearbeitung der Silvesterkrawalle in Essen. Dabei nutzt es nichts, den Bürgerinnen und Bürgern populistische Versprechungen zu machen.

Natürlich sind in diesem Prozess verschiedene Aspekte nur schwer vermittelbar. Aber wer Respekt und Rechtsstaatlichkeit von anderen einfordert, darf diesen Weg selbst nicht verlassen.

Ja, wir alle lehnen Selbstjustiz und Rechtsprechung außerhalb der Gerichte ab.

Für uns stellt sich aber die Frage, wie gehen wir mit dieser Situation um? Was für Schlussfolgerungen ziehen wir daraus?

Schließlich geraten wir in eine Situation, in der sich die gesellschaftlichen Konflikte weiter zuspitzen können, in der Intoleranz, Hass, Hetze und Rassismus immer mehr Raum einnehmen.

Die Wirksamkeit der Ansagen des Innenministers über endlich erfolgende harte Maßnahmen möchten wir ebenso anzweifeln, wie die Wirksamkeit der „Politik der tausend Nadelstiche“. Und, wir bleiben dabei, der Begriff „Clankriminalität“ bedeutet für viele ehrliche Menschen mit dem „falschen“ Nachnamen Stigmatisierung und Ausgrenzung.

Auch der Ruf nach verstärkter Abschiebung wird sich weder erfüllen noch wird er das Problem lösen.

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass wir keine verlorene Generation bekommen.

Die neuen Ansätze des Umgangs mit geduldeten Menschen unterstützen wir, sie kommen aber aus unserer Sicht viel zu spät. Auch wenn sich die Essener Stadtpolitik stärker als anderswo, um diese Menschen bemüht hat, konnten sich kriminelle Strukturen verfestigen, hat die gesellschaftliche Ablehnung dieser Menschen die Herausbildung von Parallelwelten zumindest begünstigt.

Wir alle stehen doch vor der Aufgabe, die Zusammenarbeit mit den Libanesinnen und Syrerinnen zu organisieren, die sich sehr entschieden von den Vorkommnissen distanziert haben, die jetzt in einem vergifteten Klima leben müssen, in dem auch sie unter Generalverdacht stehen.

Nur wenn wir diese Community stärken, wenn es uns gelingt, sie in das gesellschaftliche Leben einzubeziehen werden wir auch die junge Generation für unsere Werte, für unsere Gesellschaft aufschließen können.

Es reicht nicht aus, wenn wir die Probleme nur benennen, dann aber zu wenig Mittel zur Verfügung stellen, um sie auch gemeinschaftlich zu lösen.

Dabei ist uns bewusst, dass es keine Essener Lösung gibt, sondern dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Der Imam der Altenessener Moschee, Mohamed Achmin Raschid (schreiben Rachid) hat die Tat sofort in einer Videobotschaft verurteilt. Der Altenessener Moscheeverein arbeitet für ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen. Deshalb müssen wir bspw. das Arche-Noah-Projekt stärken, es ggf. überdenken, den Diskurs fördern.

Alaa El-Sadi (schreiben Sadey) vom Islamischen Zentrum Essen hat sich für die Befriedung der Situation eingesetzt. Wir brauchen diese Menschen, um Integration zu gestalten. Wir brauchen die Frauen, die Mütter und Ehefrauen, um auf die vorwiegend jungen Männer Einfluss zu nehmen.

Aber vor allem müssen wir um die Kinder kämpfen. Das heißt, sie müssen in den Kindertagesstätten, in den Schulen ernst und mitgenommen werden. Sie müssen spüren, hier haben sie eine Perspektive. Sie sind gewollt. Viele Erzieherinnen und Erzieher, viele Lehrerinnen und Lehrer kämpfen um ihre Kinder. Aber sie werden oft auch allein gelassen. Es fehlt an Personal, an Sozialarbeitern in den Schulen.  Die schwere Krise im Bildungssystem gewährleistet keine ausreichende schulische Bildung mehr, gerade für die Kinder die es am nötigsten haben. Auch das fällt uns jetzt schon auf die Füße.

Wir benötigen nicht nur den kommunalen Ordnungsdienst, sondern auch mehr Bürgerpolizistinnen, die vor allem mit Streetworkern, mit den Sozialarbeitern, aber auch den noch zu wenigen Quartiersmanagern vor Ort koordiniert zusammenarbeiten. Die gemeinsam die Probleme klären, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die nicht nur Gefährderansprachen machen, sondern denen auch vertraut wird.

Und wir benötigen mehr Treffpunkte, in denen Kinder und Jugendliche auf Menschen treffen, die ihnen helfen, die sie unterstützen.

Das Ganze ist ein langer Prozess, kurzfristige Lösungen wird es nicht geben. Davon kann die Polizei nur ein Teil sein, und da hilft auch keine Ausweitung der Videoüberwachung.

Wir müssen viel mehr in Köpfe investieren. Je länger wir warten, umso größer werden die Probleme und um so finanziell teurer wird es werden.