Heike Kretschmer: "Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Kinder und Jugendlichen in Essen"

Redemanuskript von Heike Kretschmer zum Tagesordnungspunkt 14 "Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Kinder und Jugendlichen in Essen" in der Ratssitzung vom 25. August 2021.

 

Unsere Fraktion hätte bereits in der Märzsitzung des Rates dem Antrag der SPD zustimmen können.

Denn, unabhängig der Beauftragung der Verwaltung zur „Entwicklung einer Post-Corona-Strategie“ im Zusammenhang mit der Vorlage „Gesundheitsversorgung im Essener Norden“ hat der Antrag der SPD auf unterschiedliche Aspekte aufmerksam gemacht, die dringend in den Blick zu nehmen sind und die nicht erst seit Corona in dieser Stadt ein Thema sind. Dieser unsägliche Verschiebebahnhof von fünf Monaten im Rat findet heute hoffentlich ein Ende. 

Denn die Fragen der Bekämpfung von Armut, der Schaffung von Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit für Kinder, Jugendliche und Familien muss auch jenseits davon eine Rolle spielen.

Schließlich ist laut der aktuellen Statistik der Stadt Essen in 2020 die Zahl der Kinder und Jugendliche unter 18, die Leistungen nach SGB II erhalten, gerade mal um 670 im Vergleich zu 2019 gesunken. Die Statistik weist für 2020 für den Stadtteil Katernberg aus, dass dies

- 51 % der Kinder und Jugendliche betrifft,

- in Altendorf sind es 59 % und

- im Stadtkern sogar 62,8 %.

Allein diese Zahlen machen deutlich, wie notwendig es ist, das bereits beschlossene Konzept zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut in dieser Stadt schnellstens vorzulegen und in der Fortschreibung der Post-Corona-Strategie, dieses Thema noch differenzierter in den Blick zu nehmen.

So erwarten wir, dass nach den Herbstferien erste Aussagen vorliegen, wie man in den acht definierten Handlungsbedarfen die Wirksamkeit der bisher ergriffenen Ad-Hoc-Maßnahmen und die Notwendigkeit der Verstetigung und des Ausbaus einschätzt. 

Denn schon heute ist uns doch allen klar, dass „Planungsoptionen nicht nur in Betracht zu ziehen“ sind, sondern es dringend notwendig ist, diese umzusetzen. Da jene Projekte nicht ausschließlich über die Inanspruchnahme von Fördergelder finanziert werden können, wie die bis heute fehlenden Umsetzung von einzelnen Maßnahmen aus dem INSEK zeigt, gilt es, im Zuge der kommenden Haushaltsberatung weitere Möglichkeiten zu finden, die Finanzierung der Maßnahmen abzusichern.

Der Bericht zeigt auf, was sich dahinter verbirgt, wenn der Kinderschutzbund davon spricht, dass die Kinder und Jugendlichen die Verlierer der Pandemie sind und es weiter sein werden, wenn man nicht umfassend gegensteuert. Er beschreibt auch, mit welch hohem Engagement bereits jetzt die Kitas, Schulen und Trägern der freien Wohlfahrtshilfe in unserer Stadt durch ein Bündel an Maßnahmen versuchen, die Folgen zu mildern.

Im Bereich der kurzfristigen Unterstützungsangebote zum Umgang mit existenziellen Notlagen von Familien halten wir die in der Vorlage beschriebenen Etablierung und Erweiterung der Mittagstische in den Bezirken I, V und VII immer noch für zu punktuell. Die Bedarfe von Kinder und Jugendlichen aus den weiteren 6 Bezirken, insbesondre der III und IV werden einfach ausgeblendet. Die grundsätzliche Verbesserung der Versorgung an Kitas und Schulen gehört in den Blick genommen. Ein Anliegen, was wir schon mehrfach auf die Agenda der Verwaltung setzen lassen wollten, aber bisher ohne Erfolg. Vielleicht schafft man es jetzt mit dem SPD-Antrag.

Unabhängig von der Form des Unterrichts in diesem Schuljahr gilt es die Familien mit mehreren Kindern bei der technischen Ausstattung mit I-Pads und Computern weiter zu unterstützen, um deren Teilnahme am Unterricht und zur Schließung von Wissenslücken gewährleisten zu können. Die sich in Essen etablierte Initiative „Hey Alter! – Alte Rechner für junge Leute“ hat eine Umfrage unter den Schulleiter*innen der Essener Schulen gemacht. Ergebnis, laut Herrn Bussler: Es gibt weiter einen hohen Bedarf an Endgeräten. Deshalb bedarf es konkreter Überlegungen, wie man dieser Initiative helfen kann, damit gespendete Geräte aufbereitet und vergeben werden können.

Damit bin ich bei unserem Antrag. Gerade durch die Verwaltungsvorlage wurde noch einmal auf der Grundlage von wissenschaftlichen Analysen deutlich, wie wichtig für Kinder, Jugendliche, Familien die Aufrechterhaltung des Regelbetriebs von Kitas und Schulen ist. Aktuelle Untersuchungen belegen, wie die Schere in Sachen Bildungsgerechtigkeit durch die Einschränkung des Schulbetriebes immer weiter auseinanderklafft. 

Hier könnte die Stadt ihrer Verantwortung gerechter werden, in dem in einem ersten Schritt die Ausstattung der Unterrichtsräume mit mobilen Raumluftfilteranlagen und CO2-Messgeräten erfolgt, mittel- und langfristig der Einbau von festen Klima- und Filteranlagen realisiert wird.

Die Gründe liegen auf der Hand: Verbesserung der Lernbedingungen und der Lernqualität, Steigerung der Aufnahmefähigkeit, Minimierung der möglichen Ansteckungsgefahr, insbesondere solange kein Impfschutz gegeben ist.

In Untersuchungen der Technischen Universität Berlin hat man festgestellt, dass die Kombination von Masken, Einsatz von Schnelltests, Lüften und eben der Einsatz von Luftfiltergeräten jenen Wert ergibt, den man braucht, um die Ansteckungsgefahr im größtmöglichen Maße zu minimieren.

Ums mal mit den Worten meines Enkelsohns Moritz, 7 Jahre alt zu sagen: „Oma, ich möchte nicht wieder mit Mütze, Handschuh, Decke, Thermohosen im Winter im Unterrichtsraum sitzen, da friert einem ja der Kopf ein!“

Oder den Worten des Verbandspräsidenten des Kinderschutzbundes Heinz Hilgers, der von einem Trauerspiel spricht, wenn politisch nicht mehr zur Vorbeugung und zum besseren Schutz an Schulen bis zum Herbst unternommen wird. Dabei hat er nicht nur den rechtzeitigen Einbau von Lüftungen im Blick, sondern auch uns, die Politik vor Ort. 

Die Meinung der Kultusministerkonferenz und des Bundesumweltamtes sind bekannt. Aber selbst jenes Amt, welches keinen Hehl daraus gemacht hat, dass die Anschaffung von Geräten eine Kostenfrage ist, hat am 9. Juli festgestellt, dass neben Schutzmasken als Ergänzung vor indirekten Infektionen, die nachhaltigste Maßnahme zur Verbesserung der Innenraumlufthygiene, der Einbau stationärer (= fest installierter) raumlufttechnischer (RLT)-Anlagen ist. Deren Erfolg hält auch nach Beendigung der Pandemie an. Dort, wo nicht ausreichend gelüftet werden kann, sollen kontinuierlich betriebene, einfache Zu- und Abluftanlagen oder mobile Luftreiniger helfen. 

Bei uns in Nordrhein-Westfalen hat vor den Ferien die GEW gefordert den sofortigen Einbau zu prüfen, appellierte die Elterninitiative „Mobile Raumluftfilter NRW“, der etwa 110.000 Eltern angehören, an das Land, die Anschaffung von Luftfiltergeräten zu fördern.

Erkenntnisse, welche technischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, und für welche Räume man solche Geräte anschaffen sollte, liegen aber schon mit dem ersten Lüftungsprogramm des Landes spätestens seit November 2020 vor. Da wird die Anschaffung nicht nur für Klassenräume, sondern auch für Räume zum Einzel- und Förderunterricht, Sporthallen und Gemeinschaftsräume zu 100 % finanziert. 

Vor einem Jahr hat die Verwaltung im Schulausschuss auf die Frage nach der Anzahl der schlecht oder gar nicht belüftbaren Schulräume und Fachkabinette geantwortet, dass es solche Räume eigentlich nicht gäbe.

Umso verwunderlicher ist es, dass man nun aus der Zeitung erfährt, dass ein Jahr später im Verwaltungsvorstand nun doch Überlegungen angestellt werden, sich um Fördermittel zur Anschaffung von Luftfiltergeräten aus dem neuen Landesprogramm bemühen zu wollen.

Wieso, Herr Kufen, stehen Sie eigentlich so auf der Bremse in der Frage der Anschaffung von Luftfiltergeräten und CO2-Messgeräten?

Wie viele Räume der Kategorie zwei mit eingeschränkter Lüftungsmöglichkeit gibt es denn eigentlich bei uns in Schulen und Kitas (keine raumlufttechnische Anlage, Fenster nur kippbar bzw. Lüftungsklappen mit minimalem Querschnitt)? Sind es 50 oder 100 oder …? Welche Schulen und nun neu Kitas betrifft dies? Warum soll nur für einen Teil der ermittelten Räume ggf. Fördergelder beantragt werden?

Zu mindestens haben Sie diese Zahlen als stellvertretender Vorsitzender des Städtetages NRW im Interview mit der Rheinischen Post zur Vorbereitung der Schulen auf den Start nach den Sommerferien am 14.08. genannt. Neun Tage vorher hat Pit Clausen, der Vorsitzende des Städtetages NRW, die angelaufene Bestellung von Luftfiltern durch die Städte und das neue Landesprogramm begrüßt.

Wenn Sie von der Notwendigkeit landesweit gültige Standards für die Ausstattung der Schulen sprechen, da dies eine Frage von Chancengerechtigkeit sei, verstehen wir ihr Zögern, das Zögern des Verwaltungsvorstandes nicht, ein Stück mehr nachhaltiger Sicherheit zu schaffen.

Essen sollte, wie andere Städte in NRW auch mobile Lüftungsgeräte für schlecht zu belüftenden Schulräumen anschaffen, um die Luftqualität zusätzlich zu verbessern. Auch unabhängig davon, wie die Förderbedingungen sich im Einzelnen gestalten werden.

So wie sich die Stadt Essen hinter das Modelprojekt zur Gewährleistung von Training in Fitnesstudios mit dem Fitnessbetreiber FitX unter wissenschaftlicher Begleitung des Instituts für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE) u.a. stellt, so innovativ müsste sie sich auch bei der Sicherung des Schulbetriebs zeigen! Denn nicht nur die Aufrechterhaltung dieser Branche und der Sport braucht eine gute Perspektive. Auch die Aufrechterhaltung des Schul- und Kitabetriebes muss uns dies uns wert sein!