Redebeitrag von Yilmaz Gültekin: Konzept "Zusammenleben in Vielfalt"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Verehrte Gäste auf der Tribüne,
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

 

das uns vorliegende Rahmenkonzept „Zusammenleben in Vielfalt“ ist die Zusammenführung des „Konzeptes zur Integration von Flüchtlingen“ und des „Strategiekonzeptes interkulturelle Orientierung“. Es soll Bestehendes weiter entwickeln und Neuem die Möglichkeit geben zu entstehen. 

Wir wollen mit diesem Konzept fragen und aufzeigen, was benötigt wird, um ein positives Zusammenleben in Vielfalt zu sichern, was wir ändern sollen, um alle Menschen mitzunehmen und wo wir anpacken können, um bestehende Probleme anzugehen.

Es wurde versucht, den tatsächlichen Bedarf von heute und hier in unserer Stadt zu ermitteln. Dafür hat die Verwaltung zu Workshops eingeladen, bei denen sich über 150 Organisationen zusammenfanden. Menschen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Non-Profit-Organisationen sowie ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ihre Erfahrungen und Ideen eingebracht und diese sind auch in das Ergebnis des Konzeptes eingeflossen.

Wir danken an dieser Stelle allen für ihre Mühe und wertvolle Arbeit! Mit diesem Konzept haben sie bereits viel für unsere Gesellschaft und ein Zusammenleben in Vielfalt geleistet. Wir bedanken uns auch bei der KI, Frau Borschers und auch bei Herrn Renzel.

Trotz einiger kleinerer Kritikpunkte ist uns als Fraktion DIE LINKE bewusst, dass dieses Konzept dazu beitragen kann, eine fortschrittliche, zukunftsorientierte Integrationspolitik hier in Essen zu ermöglichen.

Die Gesellschaft Essens, des Ruhrgebiets, ja der ganzen Welt ist durch Wanderung, sprich Migration, entstanden und vielfältig geworden! Deshalb bestimmt Vielfalt auch weiterhin die Mehrheit von Morgen. Wenn die Groko diesen Satz aus dem Konzept streichen möchte, sieht sie schlicht die Realität nicht, die wir seit Jahrtausenden haben und die auch gut so ist. Schauen Sie sich doch allein hier im Ratssaal um, wo sogar eine relativ homogene Gruppe sitzt… Sie alle sind unterschiedlich und genau so soll es auch sein. Herr Kallweit, Sie sagten gestern im Sozialausschuss dazu, dass Sie das nicht ihren Nachbarn erklären könnten… Essen ist aber eben nicht nur Kupferdreh und Werden, sondern auch Altendorf, Borbeck und vieles mehr. Anstatt stetig stattfindende Veränderungen und Vielfalt als Bedrohung anzusehen, sollten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, diese als Chance zu sehen und auch als solche wahrzunehmen. Sie finden sicherlich die richtigen Worte, Herr Kallweit.

 

Wir befürworten das Konzept „Zusammenleben in Vielfalt“ in seiner Ursprungform ohne die Änderungsanträge der Groko. Denn darin begegnen wir uns gegenseitig auf gleicher Augenhöhe. Wir lernen uns mit unseren unterschiedlichen Kulturen und Eigenschaften kennen und nehmen diese gegenseitig an. Wenn wir sagen, wir leben zusammen in Vielfalt, dann geben wir uns damit selber die richtigen Rahmenbedingungen, diese Gleichwertigkeit auch anzuerkennen und damit die richtigen Mittel, um sich kennenzulernen und gemeinsam die Stadtgesellschaft zu entwickeln. Wir können dazu beitragen, dass wir Menschen nicht ausgrenzen, weil sie fremd aussehen, sich anders kleiden, ihre Muttersprache eine andere ist, oder sie anderes Essen essen. Wir können nicht nur, sondern wir müssen, aus den Fehlern falscher Integrationspolitik der Vergangenheit lernen.

Diese Möglichkeit können wir mit dem vorliegenden Konzept annehmen, aber die Groko will dies scheinbar nicht, wie ihre Änderungsvorschläge zeigen.

Wir haben bereits damit gerechnet, dass die Verwaltung und die Stadtgesellschaft hier zu fortschrittlich für die Groko gearbeitet haben und waren daher nicht wirklich erstaunt, als der Änderungsantrag am Montag eintraf. 

Genau die Stellen, die ein ehrliches, gleichberechtigtes Bild der Essener Stadtgesellschaft zeigen, sollen auf Wunsch der Groko gestrichen, verändert und verwischt werden.

Warum? Sind Sie wirklich der Überzeugung, dass Integration nur gelingen kann, wenn die von Ihnen benannte Mehrheitsgesellschaft mit dem Zeigefinger aufzeigt, wie Zugewanderte sein sollen und was sie machen müssen, um irgendwann als integriert zu gelten? Heißt Zusammenleben in Vielfalt nicht, dass wir vielfältig zusammenleben und es eben keiner ominösen Leitkultur bedarf, die eigentlich nichts anderes darstellen soll, als Werte, die der gesunde Menschenverstand bereits mit sich bringt – und diesen kann man überall auf der Welt haben oder auch nicht. Wechselseitige Annäherung bedeutet eben nicht, wie sie es ergänzen wollen, eine Integration in die Mehrheitsgesellschaft, sie bedeutet genau das: Wechselseitige Annäherung, also ein gleichberechtigter Prozess mehrerer Akteure. Sie sollten vielleicht selbst einmal die deutsche Sprache beim Wort nehmen. Denn einem Zusammenleben in Vielfalt unter Bedingungen der wechselseitigen Annäherung, kann kein hierarchisches Verständnis von Gesellschaft zugrunde liegen – und das ist es, was Sie hier tun.
Bevor Sie es mir verdrehen wollen: Natürlich heißt das, was ich hier sage, dass wir erkämpfte Freiheiten und Werte gemeinsam weiter ausbauen und nichts anderes!

 

Die Diskussion im ASAGI gestern hat leider gezeigt, dass die Groko schwierige Punkte umgehen möchte, indem sie auf ihre Änderungen besteht, anstatt sich ihrer Verantwortung als Politikerinnen und Politiker zu stellen und den Bürgerinnen und Bürgern Essens ein wirklich progressives Konzept vorzustellen. Martin (Schlauch), du hast die Änderungen gestern aber auch als nicht wirklich gravierend heruntergespielt, da es auf den Inhalt, der ja noch folgen wird und nicht auf die Einführung in das Konzept ankommt. Wenn die Änderungen deiner Meinung nach nicht wirklich gravierend sind, dann ziehen sie doch bitte ihren Änderungsantrag zurück, liebe SPD-Fraktion. Nur so können wir als LINKE dem Konzept zustimmen, andernfalls werden wir uns enthalten. Das wäre allerdings schade, denn mit dem vorliegenden Konzept könnten wir ein geschlossenes Zeichen als Stadtrat setzen.

Auf dem Neujahrsempfang der SPD Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt gestern Abend habe ich eine mutige Rede von Herrn Kern gehört. Dort wurde richtig benannt, um was es beim Zusammenleben im Vielfalt geht: Sich auf gleicher Augenhöhe begegnen, Realitäten anerkennen, Chancen nutzen, gemeinsam etwas erreichen. Wir würden uns eine ähnlich progressive SPD-Fraktion auch hier im Rat wünschen, die für ihre Werte kämpft und auch mal Nein sagt, anstatt immer wieder vor der CDU einzuknicken und sich hinter der Groko zu verstecken. Aber das hören Sie ja sicherlich nicht zum ersten Mal.

Ein letzter Punkt noch:  Das Konzept ging über mehrere Ausschüsse, aber der Ergänzungsantrag der Groko lag erst am Montag vor und wurde nur im ASAGI debattiert.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

 

Hier gibt es das Konzept "Zusammenleben in Vielfalt".