Zu den Bedingungen für die Zusammenarbeit und Finanzierung von Institutionen und Trägern

Wir haben uns mit dem Antrag von CDU und Grünen zur Neuausrichtung der Förderrichtlinien in den Bereichen Integrationsarbeit und der Arbeit der freien Träger der Jugendhilfe lange und intensiv beschäftigt.

Dabei standen folgende Fragen für uns im Mittelpunkt: Welche Intention verfolgt der Antrag? Was werden die Folgewirkung für die Akteur*innen sein? Wie kann man hier Rechtssicherheit erreichen und vor allem, kann damit eines der vermuteten Ziele erreicht werden?

Die uns dabei bewegenden Fragen haben wir, genau wie die SPD-Fraktion und der Arbeitskreis Jugend in einen Fragekatalog an die Verwaltung zur Einordnung ihres Antrages gesendet. Außerdem haben wir uns Expertise aus den Städten geholt, die sich mit den Themen beschäftigen und teilweise auch zurückrudern mussten. 

Wegen der aktuellen außen- und innenpolitischen Entwicklungen, der Zunahme von Rassismus und Antisemitismus in unserem Land, sind es wichtige Fragen, denen man sich stellen muss. Da sind wir einer Meinung mit ihnen.

Der terroristische Überfall der Hamas am 07. Oktober 2023 ist ein durch nichts zu rechtfertigendes brutales, furchtbares Verbrechen gewesen. Es richtete sich gegen die Zivilbevölkerung und stellte eine entsetzliche Menschenrechtsverletzung dar. Und jede bzw. jedem, der sich mit diesem Terrorakt solidarisiert, muss deutlich die Grenze aufgezeigt werden.

Antisemitismus gibt es nicht erst seit dem 07. Oktober. Antisemitismus gab es in Deutschland (in Ost und West) die ganze Zeit. Und nicht nur an den sogenannten Rändern, oder unter Migrantinnen und Migranten, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft.

Und gerade weil Deutschland angesichts seiner Vergangenheit hier eine besondere Bedeutung hat, muss Antisemitismus und Rassismus, dazu gehört auch antimuslimischer Rassismus, bekämpft werden. Die Geschichte zeigt, mit Verboten und Bekenntnissen, wird dies nicht gelingen.

Mehr denn je ist es deshalb hier in unserer Stadt eine Aufgabe, stärker auf die unterschiedlichen Formen des Rassismus und Antisemitismus zu achten und ihm entgegenzuwirken. Mit Zivilcourage, mit Aufklärung über die Rolle Deutschlands in diesem Prozess, warum für uns das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist, mit politischer Bildung. Dazu braucht es gutes Fachpersonal und finanzielle Mittel. So muss die Alte Synagoge bei uns in Essen auch personell endlich in die Lage gesetzt werden, viel stärker in die Stadtteile zu gehen. Und wir als Politikerinnen und Politiker der Stadt müssen Lehrerinnen und Lehrer unterstützen, dieses Angebot angstfrei annehmen zu können.

Dabei sind wir nicht allein unterwegs. Der Kulturbeirat hat beispielsweise in seiner Sitzung am 28.11.2023 beschlossen, sich der Erklärung des Runden Tisches Diversität NRW: Gemeinsam gegen Antisemitismus vom 09.11.2023 anzuschließen (s. Anlage 1), um so ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Darin heißt es unter anderem, dass unser Verständnis von Kultur auf den Grundlagen von Demokratie mit einer klaren Haltung gegen jede Art von Rassismus beruht.

Das Anliegen teilen wir, aus unserer Sicht erfüllt der Antrag von CDU und Grünen dieses Ziel nicht. Wie unterschiedlich die Positionen zu diesem Antrag am Ende der Abwägung sein können, hat wohl auch die Abstimmung in der gestrigen Sitzung des Jugendhilfe-Ausschusses gezeigt, bei dem der Arbeitskreis Jugend auf Grund weiterhin bestehender rechtlicher Fragen zum Teil mit Nein gestimmt hat.

Auch aus unserer Sicht enthält Ihr Antrag nicht zielführende Formulierungen in einer rechtlichen Grauzone. So ist die Definition des Antisemitismus nach der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) umstritten und rechtlich nicht sattelfest. Das hat auch die Antwort der Verwaltung auf die Anfrage des AKJ und auf unsere Anfrage ergeben, bzw. sind unsere Fragen nicht ausreichend beantwortet worden, so dass unsere rechtlichen Bedenken nicht ausgeräumt sind. Im Übrigen gibt es nicht nur die IHRA-Definition des Antisemitismus, sondern weitere, wie z.B. die Jerusalemer Erklärung. Letztlich sind das aber akademische Erklärungen, die nicht geeignet sind eine rechtliche Bindekraft zu entwickeln. Das meine ich mit Grauzone.

Die rechtliche Unsicherheit scheint sie, liebe Antragstellende von der CDU und den Grünen, aber nicht sonderlich zu stören. Sonst hätten Sie in ihren Antrag nicht die Formulierung verwendet, die Verwaltung solle eine, ich zitiere, „möglichst rechtssichere Überprüfung der Anforderungskriterien“ ermöglichen. Soll die Verwaltung etwa nicht rechtssichere Kriterien entwickeln, wenn es nicht anders geht? Sie wissen aber schon, dass die Verwaltung keine „möglichst“ rechtssicheren Kriterien entwickeln darf, sondern nur eindeutig rechtssichere?

Dabei ist doch klar, dass es auf Grund unserer Geschichte keinen Spielraum für Missinterpretationen und Relativierungen geben darf. Es muss gelingen, nicht nur die Geschichte der NS-Zeit glaubhaft zu vermitteln, die nicht nur von Teilen der Musliminnen und Muslimen, auch auf Grund fehlender historischer Kenntnisse, sondern auch von Teilen der deutschen Gesellschaft ausgeblendet wird. Wie es geschafft werden kann, der Sicherheit des israelischen Staates, der Jüdinnen und Juden gleichermaßen gerecht zu werden, wie auch dem Recht der Palästinenserinnen und Palästinenser auf einen eigenen Staat in einer Zwei-Staaten-Lösung: Ja, ich habe nicht wirklich eine Antwort darauf. 

Und dabei wünscht sich die große Mehrheit der Menschen im Nahen Osten nichts weiter als Frieden. 

Die Lage ist verfahren. Über 100 Geiseln sind immer noch in den Fängen der Hamas, die zudem ihre Raketenangriffe auf Israel weiter fortführt. Auf der anderen Seite gibt es unvorstellbare Zerstörungen im Gazastreifen und über 30.000 Tote, darunter vor allem Zivilisten, Frauen und Kinder. Unschuldige Menschenleben.

Auch in unseren Augen hat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung. Doch die Zerstörungen im Gazastreifen müssen sofort ein Ende finden, die unterschiedlichen international diskutierten Optionen für eine Waffenruhe angewendet werden. Die internationale Gemeinschaft versucht, die bereits eingetretene humanitäre Katastrophe zu lindern und die israelische Regierung vertreibt gleichzeitig die Menschen im Gaza in immer wieder neue Zonen, die dann auch von ihr angegriffen werden. Menschen haben ein Recht auf Sicherheit. Unabhängig welcher Nation sie angehören!

Aber wie? Angesichts einer fanatischen Terrorgruppe wie der Hamas, die das Leben der Palästinenser nicht interessiert. Und einer israelischen Regierung, deren rechtsradikale Minister ebenfalls so fanatisch sind, dass sie die deutsche Bundesregierung verteufelt, nur weil diese 70 Waisenkinder aus dem Gazastreifen gerettet hat, die in ihren Augen „Terroristen“ sind? Wie soll da Frieden möglich werden?

Ganz sicherlich nicht dadurch, indem wir hier in Essen den Vereinen, Trägern und Verbänden Bekenntnisse abverlangen. Denn Bekenntnisse gehören in die Kirche und haben bei der Anwendung von Kriterien für eine Förderung nichts verloren. Wo kommen wir denn hin, wenn so etwas Schule macht und dann, je nach politischen Mehrheiten, alle möglichen Bekenntnisse eingefordert werden. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wohin das führen kann. Mit dem Einfordern von Bekenntnissen begeben wir uns auf eine schiefe Ebene.

Die Frage nach dem Existenzrecht Israels, wie in unserem Antrag, ist kein Bekenntnis, sondern ein politischer Fakt.

Ein weiteres Problem sehen wir in der Formulierung, dass sich die Antragstellenden zu unserer „Rechts- und Werteordnung bekennen“ sollen. Zur Rechtsordnung braucht sich aber niemand „bekennen“, sie ist ja kein Glaube sondern harter Fakt, eben Gesetze. Die Zustimmung zur Rechtsordnung erfolgt schlicht durch das Einhalten der Gesetze und des Grundgesetzes. Allerdings, wer die Werte definieren will, hat die Macht über die Deutungshoheit. Auch da kommen wir in ein ganz gefährliches Fahrwasser, wenn z.B. christliche Kulturkämpfer mit Verweis auf die deutsche Leitkultur eine Beleuchtung zu Ramadan in den Innenstädten bekämpfen und damit auf den Werten anderer Menschen herumtrampeln.

Wir setzen mit unserem Ersetzungsantrag an einen ganz anderen Punkt an. Statt Bekenntnisse zu Werten, wollen wir, dass in einem beteiligungsorientierten Prozess für alle Bereich der städtischen Förderung rechtssichere Leit- und Förderrichtlinien erarbeitet werden, die das Gewicht stärker auf die Arbeit für mehr Demokratieverständnis und das Erleben von Demokratie setzt. Dafür zu sein und zu wissen warum man sich für die Werte des Grundgesetzes engagiert und einsetzt, egal in welchem Alter und in welcher Form der Auseinandersetzung – von Jugendarbeit -, Integrationsarbeit, Sport und Kultur, Seniorenbetreuung …halten wir für immens wichtig. Und dazu gehört auch die aktive Arbeit gegen Rassismus und Antisemitismus dazu. Das ist doch das Entscheidende und das fehlt in Ihrem Antrag.

Angesichts der aktuellen Situation ist das Bedürfnis nachvollziehbar, die Vergabekriterien für Fördermittel gerade im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit zu schärfen. Nur wie Sie es machen wollen, halten wir für falsch.